Interview geführt von Frida Buiter, im Namen der Studierenden des Seminars „Translating Niall Griffiths“
Was inspiriert dich zu schreiben?
Naja, es ist ein Job. Rechnungen inspirieren mich. Wenn ich nicht schreibe, kann ich sie nicht bezahlen. Das ist zwar die Wahrheit, aber ich weiß, du willst sicher was anderes hören: Inspiration, oder vielmehr der Drang zu schreiben, umgibt mich, es ist ein Element wie Luft. Ich finde sie im Regen, im Boden, im Gras, im Essen, in den Augen meiner Katze. Am deutlichsten und am drängendsten finde ich sie aber in Menschen; in ihrem Umgang miteinander, ihren Motivationen, ihren Taten. Nicht selten sind sie bizarr, erstaunlich und selbstzerstörerisch. Wir sind eine völlig verrückte, unbeschreibliche, unendlich faszinierende Spezies.
Warum hast du angefangen zu schreiben?
Ich weiß es ehrlich gesagt nicht. Während meiner Kindheit gab es in unserem Haus keine Bücher, nicht mal in der unmittelbaren Umgebung. Ich bin in einer Sozialsiedlung in Liverpool aufgewachsen und da haben die Leute abgesehen von der Lokalzeitung und Artikeln über Fußball nichts gelesen. Aber mein Haus war voller Geschichten; mein Großvater hatte im Krieg gekämpft, ich hatte eine walisische und eine irische Großmutter, und diese drei Menschen waren voller Geschichten, die sie unbedingt erzählen mussten. Und ich musste ihnen unbedingt zuhören. Geschichten waren faszinierend; sie haben mein Leben bereichert, es mit Geheimnissen angereichert und der Welt eine Form von Ordnung gegeben, die ihr scheinbar fehlte. Und so waren Lesen und Schreiben für mich ungeheuer aufregend und berauschend – sie waren ein Weg, die Welt, in der ich aufgewachsen bin, zu verstehen und ihr gleichzeitig zu entfliehen. Und es war verboten! Mit einem Buch erwischt zu werden, besonders, wenn es ein Gedichtband war, schrie förmlich nach einer Tracht Prügel. Also habe ich mich mit meinen Büchern immer irgendwo versteckt, wo mich niemand mit ihnen sehen konnte. Bücher waren eine Art verbotene Schmugglerware und daher auf geradezu transgressive Weise aufregend, so wie es später Drogen sein sollten. Bücher haben diese Anrüchigkeit für mich nie verloren – sie bringen mein Blut immer noch in Wallung.
Wie schreibst du?
Nun, ich mache ausführliche Notizen, mache Fotos, zeichne und erstelle ein Portfolio mit wichtigen Materialien. Manchmal braucht es Jahre, bis ich alles zusammenhabe. Und ich entwickle detaillierte Pläne und Strukturmuster, auch wenn ich weiß, dass sie niemals in Stein gemeißelt sind und immer wieder geändert werden – wenn die Figuren immer organischer werden und sich von ihrem Schöpfer lösen, werden die Pläne angepasst. Ein wenig wie das Leben selbst. Ich höre nie Musik, wenn ich schreibe – ich brauche Stille, abgesehen von der Musik der Vögel und den Verkehrsgeräuschen. Vorher lasse ich was Lautes und Energiegeladenes laufen, um mich in Stimmung zu bringen – im Moment favorisiere ich The Clashs „Working for the Clampdown.“ Das stampft vor sich hin und rüttelt einen wach – so, wie es meine Worte hoffentlich tun werden.
Siehst du dich in der Tradition anderer Schriftsteller?
Eine Autorentradition? Eigentlich nicht – auch, wenn mir die Vorstellung gefällt, dass mich die Nachwelt in die gleiche Schublade stecken könnte wie randständige und rebellische walisische Autoren von IoIo Goch über Dafydd ap Gwilym bis Dylan Thomas. Aber ich schreibe einfach nieder, was immer aus mir raus muss.
Hast du ein Lieblingsbuch oder einen Lieblingsautor?
Ich habe dauernd ein anderes Lieblingsbuch, wobei ich mich im Moment wieder mal zu apokalyptisch-dystopischem Zeug hingezogen fühle – sicherlich aus naheliegenden Gründen: 1984, The Road, The Handmaid’s Tale. Viele moderne amerikanische Texte sprechen mich an: Hubert Selby Jr., Denis Johnson (der erst vor ein paar Wochen gestorben ist – möge seine brillante und eindrückliche Seele in Frieden ruhen). Ich lese viel Lyrik und auch viele Renaissancetragödien. Im Moment liegt Arno Gruens The Insanity of Normality (Orig.: Der Wahnsinn der Normalität) auf meinem Nachttisch. Britische AutorInnen, die mich immer wieder begeistern, sind Alan Warner und Jenny Fagan. Und Irland bringt wie immer Wunderbares hervor: Colin Barrett, Kevin Barry, Sarah Baume, Lisa McInerney.
Kannst du uns was über dein Verhältnis zu deinen Figuren erzählen?
Ich finde sie alle faszinierend, so wie ich Menschen überhaupt faszinierend finde. Ich habe keine spezielle Lieblingsfigur, obwohl Colm aus meinem ersten Roman Grits im Grunde mein Ebenbild ist. Daher empfinde ich für ihn die gleiche Hassliebe wie für mich selbst. Die Wege meiner Figuren führen in der Regel nicht ins Glück, daher fühle ich mich immer etwas schuldig für das, was ich ihnen an Schmerzen und Unheil zumute. Und ob ich sie vermisse? Das tue ich ziemlich oft, weswegen sie vermutlich immer wieder in späteren Büchern auftauchen.
Hast du einen Rat für Studierende? Zum Beispiel im Fall von Schreibblockaden?
Ich unterrichte ziemlich viele Kurse für kreatives Schreiben, so dass ich über die Jahre eine ganze Bibliothek an Ratschlägen aufgebaut habe. Was Schreibblockaden angeht, so habe ich das Konzept nie so recht verstanden. Ich habe einfach nie eine. Wie könnte ich einen Widerstand bei einer Tätigkeit empfinden, die ich so ungemein angenehm und aufregend empfinde und die meinem Dasein Bedeutung verleiht? Das wäre wie eine Essblockade oder eine Katzenstreichelblockade oder eine Atemblockade. Aber wenn es im engeren Sinne um die Tyrannei der leeren Seite geht: das ist eine der größten Sorgen angehender Schriftsteller – jeden Tag der leeren Seite oder dem leeren Bildschirm gegenüberzusitzen. Die Antwort ist einfach, sie nicht leer zu lassen. Wenn du dein Schreibpensum für den Tag erledigt hast, mach dir ein paar Notizen – es muss nur ein Wort sein, das der Kickstart für das nächste Pensum ist. Diese Notizen können etwas Persönliches sein, das scheinbar nur am Rande mit dem zu tun hat, was du schreiben willst. Aber das wird der Antrieb für dich und deine einzigartigen Fähigkeiten sein. Manchmal finde ich morgens einen Zettel an meinem Notizbuch oder meinem Laptopbildschirm, auf dem bloß ein Wort steht – „Hund“ oder „Schuhe“ oder „Biskuitkuchen.“ Und dann weiß ich genau, wie ich weitermachen muss.
Wie ist es für dich, wenn deine Arbeiten in eine Sprache übersetzt werden, die du selbst nicht beherrschst?
Es ist manchmal merkwürdig. Nimm zum Beispiel die italienische Übersetzung meines Romans Kelly+Victor. Es ist in einem Liverpooler Dialekt geschrieben, also ging ich davon aus, dass der Übersetzer einen neapolitanischen Dialekt verwenden würde, da Neapel und Liverpool sich sehr ähnlich sind, was ihr jeweiliges politisches Verhältnis zum Rest der Nation angeht. Doch nein, er sagte, dass Italiener dann zu sehr an Neapel denken würden und nicht an Liverpool, also benutzte er die übliche italienische Umgangssprache. Was natürlich völlig an der linguistischen Politik des Buches vorbeiging. Aber ich habe seinen Standpunkt akzeptiert und somit hingenommen, dass eine Dimension des Buches in der Übersetzung verlorengeht und es gab nichts, was ich hätte tun können. Grundsätzlich macht es mir Spaß, mit Übersetzern zu arbeiten. Es kann zum Beispiel faszinierend sein, die vielfältigen Bedeutungen des Wortes „fuck“ in der englischen Umgangssprache zu erklären – und sehr witzig.
Hast du mal darüber nachgedacht, ein Kinderbuch zu schreiben?
Für Kinder schreiben? Mit einem Freund von mir, der Illustrator ist, spreche ich über ein Projekt mit dem Titel The Lost Sock. Er wird die Bilder zeichnen und ich steuere den Text bei. Es handelt von einer verlorengegangenen ungewaschenen Socke, die versucht ihren müffelnden Zwilling wiederzufinden. Doch der Zwilling wurde schon gewaschen…