Volk statt Klasse? Populismus und ,Identität‘ als postmoderne Formen des Widerstandes
Vortrag und Diskussion mit Thorsten Mense
Seit einigen Jahren erleben wir ein massives revival des Identitätsbegriffs, besonders in rechten, aber auch in linken sozialen Bewegungen. ,Identität‘ ist derzeit das scheinbar erfolgreichste Konzept, sich als Instrument des Widerstandes gegen die Zumutungen des Kapitalismus zu präsentieren. Die Erfolge rechter PopulistInnen und NationalistInnen in den USA sowie in Europa gründen auf diesem Identitätsangebot und dem damit verbundenen Versprechen, Teil von etwas Größerem zu sein, was zugleich mit der Benennung von Schuldigen einhergeht: die Elite, die MigrantInnen, die Globalisierung. In Katalonien kann man derzeit besonders eindrucksvoll – hier z.T. unter linken Vorzeichen – die Mobilisierungsfähigkeit nationaler Identität beobachten, die alle sozialen Krisenproteste der letzten Jahre weit übersteigt. Warum sich nicht zuletzt auch das Proletariat eher als ,Volk‘, und nicht als Klasse betrachtet und aktuell vor allem rechtspopulistischen und neofaschistischen Parteien zuwendet, wird vor allem seit dem Erscheinen von Didier Eribons Buch „Rückkehr nach Reims“ wieder viel diskutiert. Die Antwort auf das Erstarken rechter Bewegungen besteht vielerorts darin, einen linken Populismus zu begründen. Er stellt eine Reaktion auf die politische Heimatlosigkeit der Unzufriedenen dar, die die Linke ratlos zurücklässt und welche die Rechte für sich zu nutzen weiß.
Aber auch der Linkspopulismus zieht – wie sein Pendant auf der rechten Seite – seine Stärke daraus, dass er nicht auf Inhalte und Gesellschaftskritik setzt, sondern auf ein identitäres Angebot und die falsche Gegenüberstellung von ,Volk‘ und Elite. Identität ist aber keine emanzipatorische Antwort auf den Kapitalismus und die durch ihn produzierte Ungleichheit und Unfreiheit. Ganz im Gegenteil ist das Bedürfnis nach kultureller und nationaler Identität gerade eine Folge der Ohnmacht und fehlenden Selbstbestimmung, die sich in der regressiven Sehnsucht nach natürlicher Gemeinschaft niederschlägt. Anstatt sich an solchen identitären Kämpfen zu beteiligen, sollte radikale Kritik sich damit beschäftigen, woher dieses identitäre Bedürfnis kommt – und was eine linke Antwort darauf sein könnte.
Zur Person: Thorsten Mense ist Soziologe, freier Autor und Journalist, tätig u. a. für die Wochenzeitung Jungle World sowie das Monatsmagazin Konkret. Studium der Politikwissenschaften in Heidelberg, Barcelona und Göttingen, Promotion in Hannover bei Detlev Claussen zur Kritischen Theorie des Nationalismus und linksnationalistischen Befreiungsbewegungen in Katalonien und im Baskenland. Mitglied des Forums für kritische Rechtsextremismusforschung (FKR). Wichtige Publikation: „Kritik des Nationalismus“.
Die Veranstaltung wird organisiert von der Initiative für Gesellschaftskritik Dortmund und findet mit freundlicher Unterstützung des AStA FH Dortmund statt.